🔎🥴 „Was stimmt nicht mit mir?“ – Wenn der Wunsch nach Gewissheit selbst zum Problem wird

Immer mehr Menschen halten scheinbar kaum aus, keine Erklärung für ihr Verhalten zu haben und werden zu Opfern einfacher Antworten.
woman crying and dollar bills with receipts on desk

Im digitalen Zeitalter werden wir regelrecht überflutet von einer Fülle neuer Informationen. Gerade bei psychischen Problemen neigen wir dazu, die statistische Relevanz von Diagnosen – also die Häufigkeit ihres Auftretens – zu übersehen. Gleichzeitig steigt die Unsicherheit über unsere eigene Identität (Wer bin ich?) und die individuelle Bedeutung (Was macht mich aus?).

Obwohl Social Media als Informationsquelle nützlich sein können, besteht die Gefahr, dass sie uns in die Irre führen. Ein paar trübe Tage werden leicht zur Annahme einer depressiven Episode, Konzentrationsstörungen werden als AD(H)S interpretiert, und rücksichtslose Menschen werden schnell zu vermeintlichen Narzissten erklärt, während introvertierte Persönlichkeiten als potenzielle Autisten betrachtet werden.

Wenn falsche Selbstdiagnosen auf überfüllte Wartezimmer treffen, besteht die reale Gefahr, dass Menschen mit tatsächlichen Problemen keine angemessene Therapie erhalten oder bestimmte Störungsbilder ihre ernsthafte Bedeutung verlieren.

In Anbetracht dieser Herausforderungen ist es wichtig zu hinterfragen: Woher kommt das Gefühl, dass etwas nicht stimmt? Wer kann dabei unterstützen, Gewissheit zu erlangen? Welche Faktoren spielen eine Rolle, und welche Maßnahmen kann man selbst ergreifen, um eine umfassende Klärung zu erreichen?

Gründe für das Suchen nach einer Diagnose

Es ist grundsätzlich hilfreich, wenn man bei persönlichem Leiden oder Belastungen im Umfeld nach Ursachen sucht, um die Symptome zu verstehen, Bestätigung zu finden, die passende Behandlung zu erhalten oder soziale Unterstützung zu bekommen. In unserer heutigen Welt gestaltet sich jedoch das Verständnis für das Normale zunehmend schwierig.

Social Media präsentiert täglich ein vermeintlich perfektes Leben, das durch kontinuierliche Selbstoptimierung erreichbar wäre. Dieser Streben nach Perfektion kann jedoch einen beträchtlichen Tribut fordern.

Ständige Selbstzweifel, übermäßige Wachsamkeit gegenüber der Umwelt und intensives Erlebensbewusstsein bilden eine gefährliche Mischung, die ernsthafte psychische Probleme verursachen kann. Insbesondere in Zeiten von Krisen und anderen stressigen Situationen ist es wenig überraschend, dass Menschen befürchten, mit ihnen könnte etwas nicht stimmen.

Das Gefühl, dass mit einem etwas nicht stimmt

Menschen, die kontinuierlich das Gefühl haben, dass mit ihnen etwas nicht stimmt, können an vielfältigen psychischen oder emotionalen Herausforderungen leiden. Ein solches anhaltendes Empfinden kann auf verschiedene Ursachen zurückzuführen sein, und es ist von entscheidender Bedeutung zu betonen, dass einfache Selbsttests im Internet keine fundierte individuelle Diagnose ermöglichen.

Im Folgenden sind einige allgemeine Gründe aufgeführt, warum Menschen solche Gedanken haben könnten:

Angststörungen

Personen mit Angststörungen neigen dazu, ständig besorgt oder ängstlich zu sein, und könnten das Gefühl haben, dass etwas mit ihnen nicht stimmt. Einige sind regelrecht „süchtig“ und „zwanghaft“ nach einer Erklärung.

Menschen mit Depressionen haben oft negative Selbstbilder und denken möglicherweise, dass sie fehlerhaft oder unzureichend sind.

Ein niedriges Selbstwertgefühl kann dazu führen, dass Menschen glauben, dass sie nicht genug sind oder dass mit ihnen etwas nicht stimmt.

Personen, die sich selbst hohe Standards setzen, neigen dazu, übermäßig selbstkritisch zu sein und könnten das Gefühl haben, dass sie diesen Standards nicht gerecht werden.

Menschen, die traumatische Erfahrungen* gemacht haben, können Schwierigkeiten haben, sich selbst zu akzeptieren, und das Gefühl haben, dass mit ihnen etwas nicht stimmt.

*Definition der deutschen Traumstiftung: Als traumatisierend werden im Allgemeinen belastende Ereignisse wie schwere Unfälle, Erkrankungen und Naturkatastrophen, aber auch Erfahrungen erheblicher psychischer, körperlicher und sexueller Gewalt sowie schwere Verlust- und Vernachlässigungserfahrungen bezeichnet. Es ist oft Resultat von Gewalteinwirkung – sowohl physischer wie psychischer Natur. 

Das Fehlen sozialer Unterstützung oder die Erfahrung von Einsamkeit kann zu Selbstzweifeln führen. Gerade in den vergangen Jahren durch Corona haben viele Menschen soziale Isolation erfahren.

Manche Menschen neigen dazu, ihre Gedanken zu verzerrten oder negativen Schlussfolgerungen zu neigen, selbst wenn keine objektive Grundlage dafür besteht. Wobei auch hier Social Media dazu beitragen können, wenn sich Menschen mit ähnlichen kognitiven Verzerrungen gegenseitig bestätigen.

Diese Faktoren sind oft miteinander verknüpft sind und bedingen sich gegenseitig. Es kann notwendig sein, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, um die genaue Ursache zu identifizieren und angemessene Unterstützung zu erhalten.

Wenn Ängste die Regie übernehmen

Ängste sind oft tückisch und schwer zu durchschauen. Viele Menschen neigen dazu, lieber von Unsicherheit zu sprechen, da Angst oft als Zeichen von Schwäche betrachtet wird. Es wird mit aller Kraft versucht, sie zu unterdrücken oder zu umgehen.

Unterdrückte Ängste übernehmen jedoch gerne die Kontrolle, und dies wird häufig erst bemerkt, wenn sich körperliche Symptome manifestieren. Diese reichen von Muskelverspannungen über Kopfschmerzen, Magen-Darm-Beschwerden, Herz-Kreislauf-Probleme, Atemprobleme, Schlafstörungen, Schwindel, Erschöpfung, erhöhtem Blutdruck bis hin zu Konzentrationsstörungen.

Daher sind hier zwei Ängste, die oft mit dem Gefühl einhergehen, dass etwas nicht stimmt:

Die Angst, nicht "normal" zu sein

Die Angst, nicht „normal“ zu sein, kann auf verschiedene individuelle und soziale Faktoren zurückgeführt werden. Hier sind einige Gründe, warum Menschen diese Angst empfinden könnten:

Sozialer Druck

Gesellschaftliche Normen und Erwartungen können Menschen dazu bringen, sich anzupassen und als „normal“ wahrgenommen zu werden. Die Angst vor Ablehnung oder sozialer Ausgrenzung kann dazu führen, dass Menschen ihre Einzigartigkeit verbergen und versuchen, sich anzupassen.

Der ständige Vergleich mit anderen Menschen, sei es in Bezug auf Aussehen, Leistung oder Lebensstil, kann zu dem Gefühl führen, nicht den Erwartungen zu entsprechen oder nicht gut genug zu sein.

Dieser Vergleich kann zu Unsicherheit und Ängsten bezüglich der eigenen Normalität führen.

In einigen Gesellschaften werden bestimmte Eigenschaften oder Verhaltensweisen stigmatisiert. Menschen, die von der Norm abweichen, können mit Vorurteilen und Diskriminierung konfrontiert sein, was Ängste hinsichtlich ihrer Akzeptanz verstärken kann.

Ein niedriges Selbstwertgefühl kann dazu führen, dass Menschen glauben, dass sie nicht normal oder nicht gut genug sind. Die Wahrnehmung der eigenen Unzulänglichkeit kann Ängste vor Ablehnung verstärken.

Medien, einschließlich sozialer Medien, prägen oft bestimmte Vorstellungen davon, was als „normal“ oder erstrebenswert gilt. Menschen könnten sich unter Druck gesetzt fühlen, diesen Idealvorstellungen zu entsprechen.

Manche Menschen haben Schwierigkeiten, ihre eigene Identität zu akzeptieren oder zu verstehen. Die Unsicherheit darüber, wer man ist, kann zu Ängsten vor sozialer Abweichung führen.

Vielfalt und Individualität sind wertvoll. Es gibt keine feste Definition von „Normalität“, und jeder Mensch ist einzigartig. Es kann hilfreich sein, Selbstakzeptanz zu fördern und sich daran zu erinnern, dass es in Ordnung ist, anders zu sein.

Die Angst , "bedeutungslos" zu sein

Die Angst vor Bedeutungslosigkeit bezieht sich auf die Sorge, dass das eigene Leben oder die eigenen Handlungen keinen Sinn oder keine Bedeutung haben. 

Diese Angst kann auf verschiedenen Ebenen auftreten, einschließlich persönlicher, zwischenmenschlicher und existenzieller Aspekte. Hier sind einige Gründe, warum Menschen diese Angst empfinden könnten:

Fehlende Lebensziele

Wenn Menschen keine klaren Ziele oder einen Sinn in ihrem Leben sehen, können sie das Gefühl haben, dass ihre Existenz bedeutungslos ist.

Ein niedriges Selbstwertgefühl kann dazu führen, dass Menschen ihre eigenen Beiträge und Erfolge herunterspielen und das Gefühl haben, dass sie nicht wirklich etwas Bedeutendes leisten können.

Der Mangel an sozialer Verbindung und unterstützenden Beziehungen kann dazu führen, dass Menschen sich allein und unbedeutend fühlen.

Wenn die Bemühungen und Leistungen einer Person nicht anerkannt oder gewürdigt werden, kann dies das Gefühl der Bedeutungslosigkeit verstärken.

Die Frage nach dem Sinn des Lebens und der eigenen Existenz kann existenzielle Ängste hervorrufen, insbesondere wenn es keine klaren Antworten oder Überzeugungen gibt.

Die Anerkennung der Vergänglichkeit des Lebens und die Unsicherheit darüber, ob die eigenen Handlungen dauerhaften Einfluss haben, können Ängste vor Bedeutungslosigkeit auslösen.

Ein Mangel an Freude und Erfüllung im täglichen Leben kann dazu führen, dass Menschen das Gefühl haben, dass ihr Dasein nicht von Bedeutung ist.

Die Suche nach Bedeutung ist eine individuelle und subjektive Reise. Viele Menschen finden Bedeutung in zwischenmenschlichen Beziehungen, kreativen Aktivitäten, persönlichem Wachstum oder dem Beitrag zur Gemeinschaft.

Besser damit umgehen

Wenn das Gefühl, dass etwas nicht stimmt, in einem aufkommt, ist es von entscheidender Bedeutung, zunächst mit einer Vertrauensperson darüber zu sprechen. Diese Person kann einen unterstützen, sich selbst zu reflektieren und zu hinterfragen, ob es plausible Gründe für die eigenen Empfindungen gibt.

Fragen Sie sich: Was tue ich Gutes für mich? Was tut mir weniger gut? Wie gehe ich damit um? Wie oft gönne ich mir Entspannung? Was macht mir Angst? Was macht mich wütend oder was nervt und stresst mich im Moment? Gibt es Gründe, die gegen ein psychische Krankheit sprechen? Welche sind das?

Die individuelle Wahrnehmung von Gefühlen, Denkmustern und Verhaltensweisen variiert stark und kann entscheidenden Einfluss auf psychisches Wohlbefinden haben. Professionelle Hilfe, wie etwa von Verhaltenstherapeuten und anderen Fachleuten, kann dabei unterstützen, diese Aspekte zu erkunden und Wege zur Bewältigung und Verbesserung zu entwickeln.

Zusammenfassung

Social Media kann zweifellos dazu beitragen, unser Verständnis für verschiedene Themen, Probleme oder Krankheiten zu vertiefen. Doch ein Übermaß an Information kann zu einer ernsthaften Gefahr werden, insbesondere wenn die Suche nach Krankheitsbildern oder Symptomen den Alltag dominiert.

In solchen Fällen kann es äußerst ratsam sein, professionelle Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Ein erfahrener Psychologe oder Therapeut kann einerseits dazu beitragen, konkrete Krankheiten oder Störungen auszuschließen, und andererseits die notwendige Hilfe und Begleitung bereitstellen, um einen gesunden Umgang mit den eigenen Ängsten und Sorgen zu entwickeln. 

Es geht darum, eine ausgewogene Perspektive zu bewahren und die richtige Unterstützung zur Förderung des mentalen Wohlbefindens zu erhalten.

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