Zwischen Selbstsicherheit und Überheblichkeit

Oft ein schmaler Grat, den ich persönlich gut kenne.

In den letzten Jahren habe ich mein Leben und meine Arbeit mehrfach neu ausgerichtet.
Ich habe immer wieder nach Klarheit gesucht.
Wenn ich dachte, ich hätte sie gefunden, dann war ich überzeugt.
Ich habe daran festgehalten. Manchmal wurde ich sogar stur.
Manchmal habe ich sie wieder verloren.
Und dabei gefühlt auch mich.

Ich wollte meine gewonnenen Erkenntnisse teilen, Orientierung geben.
Erst später merkte ich, wie schnell das auch überheblich wirken kann.

Ob beim Wechsel aus der Konzernwelt in die Selbstständigkeit, in Diskussionen zu Identität und Vielfalt, in meiner Arbeit als Therapeut und Coach oder hier auf LinkedIn:
Immer wieder stehe ich an der Kante zwischen selbstsicherem Auftreten und dem Gefühl, zu laut, zu klar, zu „besserwisserisch“ zu sein.

Ein Punkt, der mich dabei besonders beschäftigt:
Was macht Klarheit mit mir – und mit anderen?

Klarheit fühlt sich oft stark an. Klar. Beruhigend. Eindeutig.
Aber sie kann auch trennen. Grenzen ziehen, wo Verbindung möglich wäre.

Denn sie ist niemals neutral:
Wie meine Klarheit wirkt, hängt auch davon ab, wer sie anschaut.

Für jemanden mit geringem Selbstwert kann Klarheit wie Überheblichkeit wirken.
Für jemanden mit großer Eitelkeit vielleicht eher wie Unsicherheit oder Rechtfertigung.

Es ist weniger die Klarheit selbst, die wirkt – sondern das Spiegelbild, das sie in anderen auslöst.

Ich entdecke für mich immer wieder neue Perspektiven, neue Klarheit, neue Erkenntnisse. Und ich habe das Bedürfnis, sie zu teilen.
Nicht um Recht zu haben, sondern um Räume zu öffnen.

Vielleicht erkennt sich jemand darin wieder.
Vielleicht ist jemand genau an dem Punkt.

Aber: Ich will nicht so tun, als sei das allgemeingültig.
Ich will nicht behaupten: „So ist es.“
Sondern eher sagen: „So ist es für mich gerade. Vielleicht hilft es dir auch – vielleicht nicht.“

Denn ich weiß auch:
Die Algorithmen lieben Eindeutigkeit und Zuspitzung.
Unser Belohnungssystem auch.

Polarisierung zieht mehr Aufmerksamkeit.

Aber ich will das Dazwischen nicht aufgeben.
Auch wenn es leiser ist.
Unbequemer.
Unsicherer.
Und manchmal einsamer.

Klarheit ist kein Besitz. Kein Beweis. Kein Überlegenheitszeichen.
Klarheit ist ein Zwischenstand.
Und manchmal ist sie gerade deshalb so wertvoll.

Vielleicht ist das der wichtigste Punkt:
Es gibt nicht die eine Klarheit.
Nicht für mich. Und nicht für dich.
Es gibt nur Annäherungen und die Bereitschaft, immer wieder neu hinzusehen.

Vielleicht ist wahre Selbstsicherheit nicht das Ende einer Suche,
sondern die Entscheidung, ihr den notwendigen Raum zu geben.

Ich weiß nicht, wie es dir damit geht.
Kennst du das auch – diesen Moment, in dem du plötzlich weißt, was für dich stimmt…
…aber unsicher wirst, ob du es laut sagen darfst, ohne überheblich zu wirken?

Wie gehst du mit dieser Spannung um?

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