warum wir mehr Balance brauchen
Je älter ich werde, desto öfter merke ich: Ich lasse mich nicht mehr von jeder neuen „großen Idee“ mitreißen. Nicht, weil mir die Energie fehlt. Sondern weil ich gelernt habe, Muster zu erkennen. Manche Trends wirken wie die gleiche Sau, die schon vor Jahren durchs Dorf getrieben wurde. Nur mit neuem Etikett.
In vielen Unternehmen wird dieses Verhalten so gedeutet: „Die Älteren ziehen nicht mehr mit.“ oder „Die sind schon satt und unflexibel.“
Aber ist es wirklich fehlende Motivation? Oder nicht vielmehr die Fähigkeit, blinden Aktionismus zu hinterfragen, bevor Zeit, Geld und Energie in die falsche Richtung fließen?
Jüngere und Ältere – Stärken und Grenzen
Jüngere Mitarbeitende sind oft stark, wenn es darum geht:
Neues auszuprobieren, auch wenn noch nicht klar ist, was am Ende herauskommt
Mut zu zeigen und Risiken eingehen
frische Perspektiven und digitale Selbstverständlichkeit einzubringen
Ältere Mitarbeitende sind oft stark, wenn es darum geht:
Muster zu erkennen und Konsequenzen abzuschätzen
Erfahrungen so zurückzuspielen, dass die Organisation daraus lernt
Stabilität und Weitblick in Entscheidungsprozesse einzubringen
Beide Seiten haben Vor- und Nachteile. Doch erst im Zusammenspiel entsteht die Balance, die Organisationen heute brauchen.
Bewerberrückgang als Warnsignal
Diese Beobachtung wird durch aktuelle Daten gestützt: Studien wie die StepStone Recruiting Trends 2025 zeigen: Die Zahl der Bewerbungen nimmt ab, Recruiter:innen beklagen sinkende Qualität und Passung. Natürlich spielt Demografie eine Rolle. Aber steckt vielleicht noch mehr dahinter?
Vielleicht ist es ein Signal, dass junge Menschen immer weniger bereit sind, sich für kopflosen Aktionismus verheizen zu lassen. Projekte ohne Sinn, überlange Arbeitszeiten und die Haltung „einfach machen, egal wozu“ verlieren ihre Anziehungskraft. „Wofür soll das gut sein?“ oder „Ist das überhaupt noch die richtige Vorgehensweise in der heutigen Zeit?“
Und ältere Mitarbeitende? Sie ziehen sich zurück, wenn ihre Erfahrung nicht zählt und sie nur „mitziehen“ sollen. So verlieren Unternehmen gleich beide Seiten: die Neuen wie die Erfahrenen.
Ein Symptom alter Führung
Vielleicht ist dieser Rückgang an Engagement und auch ein Symptom einer überholten Kultur: oben denkt, unten führt aus.
Dieses Vorgehen hatte durchaus seine Berechtigung. In Zeiten stabiler Märkte, wo die Richtung klar war und es nur darum ging, mit aller Kraft Marktanteile zu erobern. Doch heute, wo sich Rahmenbedingungen schneller ändern als Strategien, wird aus dem Vorteil schnell ein Risiko. „Warum soll man den Preis bezahlen, damit andere etwas davon haben?“
Junge sollen ausprobieren, damit oben schnell genug Erfahrungen gesammelt werden. So funktionieren Geschäftsmodelle von großen Beratern oder anderen Dienstleistern.
Doch das ist Verschleiß auf Kosten der Jungen und der Alten – kein nachhaltiges Lernen, kein Setzen auf echte Erfahrung. Das Ergebnis: Tempo ohne Substanz. Menschen, die sich verheizt fühlen, Erfahrung die kaum noch zählt und Organisationen, die an Stabilität verlieren. Frust und Hilflosigkeit machen sich breit.
Da braucht man keine Team-Workshops veranstalten, um ein paar Pflaster auf die individuellen Wunden der Verletzten zu kleben. Da braucht es eine strategische Veränderung, eine Haltung die Top-Down das WIE ändert, um schon von vornherein weniger Verletzte zu erzeugen.
Der Weg nach vorn
Wenn wir Bewerberrückgänge und die zunehmende Resignation ernst nehmen, dann nicht nur als demografischen Effekt. Sondern als Spiegel einer ungesunden und dysfunktionalen Führungs- und Unternehmenskultur.
👉 Tragfähige Lösungen entstehen, wenn wir Mut und Erfahrung bewusst bündeln.
👉 Wenn junge Menschen ausprobieren dürfen – ohne verheizt zu werden.
👉 Wenn ältere Menschen ihre Erfahrung einbringen – nicht als Bremse, sondern als Ressource.
👉 Und wenn Führung nicht Vielfalt „managt“, sondern Räume schafft, in denen Unterschiedlichkeit zur Stärke wird.
Die entscheidende Frage lautet also: Wollen wir weiter im Muster „oben denkt – unten macht“ bleiben? Oder schaffen wir endlich Kulturen, in denen Mut und Erfahrung zusammenfinden – und damit echte Zukunftsfähigkeit entsteht?
Der nächste Schritt: Schauen Sie sich Ihr nächstes wichtiges Projekt an: Wer bringt den Mut zum Experimentieren ein, und wer die Erfahrung zur Einschätzung? Wie gehen Sie damit um, wenn jemand etwas kritisch sieht oder „Nein“ sagt? Erst wenn verschiedene Perspektiven am Tisch sitzen, können tragfähige Lösungen entstehen, die sowohl innovativ als auch nachhaltig sind.