Kontrolle oder Loslassen – Was gibt uns wirklich Sicherheit?

Warum Kontrolle oft eine Illusion ist und wie man in Zeiten, in denen sich viele Stabilität von außen wünschen, innere Sicherheit entwickelt.

Jeder von uns kennt das Bedürfnis, Kontrolle über das eigene Leben, die Umstände, unser eigenes Verhalten oder andere Menschen haben zu wollen. Selbst wenn wir es gut meinen, spüren wir, wie schwer es uns fällt, bei uns zu bleiben oder an uns zu halten, wenn andere sich unserer Sicht oder unseren Vorschlägen verweigern. 

Kontrolle vermittelt das Gefühl von Sicherheit, Vorhersehbar- und Planbarkeit. Und damit steigt auch der Wunsch und die Erwartung, den eigenen Einflussbereich besser kontrollieren zu können. Doch was passiert, wenn diese Kontrolle nicht mehr funktioniert und wir feststellen, dass wir trotz aller Anstrengungen nicht alles in der Hand haben?

Die Antwort ist oft: Frustration, Angst, Wut oder Ohnmachtsgefühle. Im schlimmsten Fall sind wir verletzt und fühlen uns gekränkt oder angegriffen. Im Eifer des Gefechts und unter Stress greifen Menschen dann gern nach Strategien, die eher in die Kategorien Hass, Vergeltung oder Rache passen. Ein Teufelskreis, aus dem man nur schwer herauskommt. 

Kontrolle ist eine Illusion. Wahre Sicherheit entsteht nicht durch das Kontrollieren von Menschen oder Situationen, sondern durch innere Stabilität.

  • Was sind Ursachen für unser Kontrollbedürfnis?
  • Was sind zugrunde liegenden Gefühle und Denkmuster?
  • Welche Wege gibt es, um innere Sicherheit zu entwickeln?

Ursachen und Auslöser des Kontrollbedürfnisses

Jeder Mensch entwickelt im Laufe seines Lebens Strategien, um mit Unsicherheit umzugehen. Während einige lernen, Veränderungen und Unvorhersehbarkeiten zu akzeptieren, reagieren andere mit dem Wunsch, möglichst viel zu kontrollieren. Die Ursachen für dieses Bedürfnis sind vielfältig und lassen sich grob in innere und äußere Faktoren unterteilen.

Innere Auslöser

Viele Menschen entwickeln ein starkes Kontrollbedürfnis aufgrund von tief verwurzelten inneren Ängsten oder Erfahrungen. Dazu gehören:

Wer in der Vergangenheit das Gefühl hatte, hilflos oder ausgeliefert zu sein, versucht oft, dieses Gefühl durch Kontrolle zu vermeiden.

Als soziale Menschen haben wir ein Bedürfnis nach Bindung zu Zugehörigkeit, das auch daraus gespeist wird, ob wir für uns oder andere relevant sind. 

Wer an sich selbst zweifelt, sucht oft Sicherheit durch die Kontrolle von äußeren Faktoren.

Frühere Erlebnisse, in denen man sich machtlos fühlte, führen dazu, dass Kontrolle als Schutzmechanismus aufgebaut wird.

Wer glaubt, dass nur durch absolute Perfektion Sicherheit erreicht werden kann, neigt dazu, Kontrolle zu übertreiben.

Äußere Auslöser

Neben inneren Faktoren gibt es auch äußerliche Umstände, die das Bedürfnis nach Kontrolle verstärken:

Wer sich ständig vergleichen muss (außen), sucht nach Wegen, um „besser“ zu sein als andere und somit das Gefühl der Unterlegenheit (innen) zu vermeiden.

Arbeitsplatzverlust, finanzielle Unsicherheiten oder gesellschaftliche Krisen können das Gefühl erzeugen, dass man Kontrolle über irgendetwas behalten muss.

Wenn andere Menschen sich unberechenbar verhalten, entsteht oft der Drang, ihre Handlungen zu kontrollieren.

Die ständige Veränderung durch Digitalisierung und soziale Medien kann zu einem Gefühl der Machtlosigkeit führen.

Die Verbindung zwischen Kontrolle, Gefühlen und Gedanken

Kontrolle ist oft eine Reaktion auf innere Unsicherheit. Die Angst vor Kontrollverlust führt dazu, dass Menschen bestimmte Gedanken- und Verhaltensmuster entwickeln, um sich sicher zu fühlen. Diese Muster sind tief verankert und wirken sich direkt auf die emotionale Befindlichkeit aus. Um besser zu verstehen, warum Menschen an Kontrolle festhalten, lohnt es sich, die zugrunde liegenden Gefühle und Denkmuster genauer zu betrachten.

Typische Gefühle

Menschen, die stark kontrollieren wollen, erleben oft intensive emotionale Reaktionen:

  • Angst: „Was passiert, wenn ich die Kontrolle verliere?“
  • Wut: „Warum tun andere nicht, was ich will?“
  • Ohnmacht: „Ich habe keinen Einfluss, also muss ich mich noch mehr anstrengen.“
  • Verzweiflung: „Ich werde nie die Kontrolle haben, also ist alles sinnlos.“

Typische Gedanken

Diese Gefühle gehen oft mit bestimmten Denkmustern einher:

  • Schwarz-Weiß-Denken: „Entweder ich habe die Kontrolle oder ich bin verloren.“
  • Katastrophendenken: „Wenn ich das nicht kontrolliere, passiert etwas Schreckliches.“
  • Personalisierung: „Alles, was passiert, ist meine Verantwortung.“
  • Perfektionismus: „Nur wenn alles perfekt ist, kann ich mich sicher fühlen.“

Diese Empfindungen und Gedankenmuster verstärken den Drang zur Kontrolle, sind aber oft unbewusst und automatisiert. Der Teufelskreis beginnt und dreht sich immer schneller ohne Rücksicht auf Verluste, bis wir oder andere nicht mehr können.

Die Folgen von zu viel Kontrolle

Wir können noch so sehr vom Gegenteil überzeugt sein und versuchen, nicht in alte Muster zu verfallen. Doch unter Stress oder Druck greift unser Hirn auf das zurück, was es schon hundertfach ausgeführt hat: unsere Muster. 

Beispiele, wozu Menschen dann gerne greifen:

  • Übermäßiges Planen und Strukturieren, um Unsicherheiten zu vermeiden.
  • Starkes Einmischen in die Entscheidungen oder Handlungen anderer.
  • Schwierigkeiten, Aufgaben oder Verantwortung an andere abzugeben.
  • Emotionale Erpressung oder Manipulation, um gewünschte Ergebnisse zu erzielen.
  • Unfähigkeit, sich zu entspannen oder spontan zu sein, da Unvorhersehbarkeit als bedrohlich empfunden wird.

Der Versuch, die Kontrolle zurückzubekommen, mündet nicht selten in

  • Steigende innere Anspannung und Stress: Ständige Kontrolle kostet Kraft und lässt kaum Raum für Entspannung.
  • Schlechtere zwischenmenschliche Beziehungen: Menschen, die sich kontrolliert fühlen, ziehen sich oft zurück oder wehren sich.
  • Gefühl des ständigen Scheiterns: Kontrolle ist nie vollständig möglich, was zu Frustration führt.
  • Weniger Lebensfreude: Wer sich auf Kontrolle konzentriert, kann selten den Moment genießen.

Oder kurz zusammengefasst:

Ohnmacht führt zu Kontrollwunsch → Kontrollwunsch verstärkt Konflikte → Konflikte steigern Ohnmachtsgefühle


Strategien zur Entwicklung innerer Sicherheit

Was man unter Kontrolle hat und was nicht, hat in erster Linie damit zu tun, wie gut man sich selbst kennt, wie man mit sich selbst und der Welt umgeht. In der Psychotherapie und im Coaching gibt es dafür verschiedene Ansätze, mit denen man lernt, wieder besser bei sich selbst zu sein und die Wahl zu haben, ob und wie man auf äußere Umstände reagiert.  Dazu gehören:

1. Akzeptanz der Unsicherheit

  • Erkennen, dass Unsicherheit zum Leben dazugehört.
  • Sich bewusst machen, dass Kontrolle oft nur eine Illusion ist.
  • Bewusst Überraschungen oder Spontanität in den Alltag einbauen.

2. Fokus auf innere Ressourcen statt äußere Kontrolle

  • Selbstwertstärkende Übungen wie Dankbarkeitstagebuch führen.
  • Sich bewusst machen, dass Sicherheit aus innerer Stabilität kommt, nicht aus äußeren Faktoren.

3. Entwicklung einer gesunden Selbstregulation

  • Meditation, Atemtechniken oder Achtsamkeitsübungen zur Beruhigung.
  • Erkennen von automatisierten Gedankenmustern und bewusste Reflexion.
  • Entwickeln eines gesunden Umgangs mit Emotionen.

4. Stärkung der Beziehungsfähigkeit

  • Vertrauen in andere aufbauen und Kontrolle bewusst loslassen.
  • Offene Kommunikation statt Manipulation oder Kontrolle.
  • Lernen, Kompromisse einzugehen und Unvollkommenheit zu akzeptieren.

Fazit: Echte Sicherheit kommt von innen

Der Drang nach Kontrolle entsteht oft aus tief verwurzelter Unsicherheit. Doch Kontrolle ist keine nachhaltige Lösung – sie führt zu mehr Stress und Frustration. Wahre innere Sicherheit entsteht, wenn wir lernen, Unsicherheit zu akzeptieren, unseren Selbstwert unabhängig von Kontrolle zu stärken und innere Ressourcen aufzubauen.

Indem wir Kontrolle loslassen, gewinnen wir tatsächlich mehr Freiheit, Vertrauen und emotionale Stabilität. Und ja, das klingt völlig paradox: damit haben wir wieder Kontrolle über uns selbst.

Welche Bereiche im Leben kontrollieren Sie vielleicht zu stark? Was würden Sie gerne loslassen? Wobei bräuchten Sie Unterstützung?

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